Liebe WhatsApp-User: Ich hoffe, ich überfordere euch jetzt nicht, nur weil ich diesen Text nicht als Sprachnachricht aufgenommen habe. Jetzt müsst ihr tatsächlich etwas lesen. So sorry.



Los, klickt schnell weg, haltet das Handy wieder waagrecht an den Mund und schickt eurer Freundin eine wütende Sprachnachricht!
Mein Kompromiss-Vorschlag, falls ihr gerade in der U-Bahn sitzt: Lest meinen Text doch einfach laut und deutlich vor. Dann haben trotzdem alle was davon. Baut noch ein paar mal "Ähmmmm" und "Joaaah" ein und gebt an ein paar Stellen lachende Grunzlaute von euch - und tadaa, schon ist es quasi eine Sprachnachricht.
Denn aus irgendeinem nicht nachvollziehbaren Grund gelingt es euch Sprachnachrichten-Fetischisten ja nicht, euer Handy so ans Ohr zu halten, dass tatsächlich nur ihr die für euch gedachte Nachricht hört.
Allein wenn ich euch sehe, wie ihr eure Smartphones vor euren Mund anstatt an euer Ohr haltet, würde ich es euch am liebsten aus der Hand reißen. Denn ich kann das einfach nicht mit ansehen: Erst sprecht ihr, dann wartet ihr ungeduldig auf euer Handy starrend, dann sprecht ihr wieder.

Ach, könnte man nur sofort eine Antwort hören!

Ärgerlich, dass noch keine Technik erfunden wurde, die es ermöglicht, sofort eine Antwort zu hören. Stellt euch nur vor, wie praktisch das wäre. Ihr sprecht in euer Telefon - und erhaltet schon im nächsten Augenblick die unverfälschte Reaktion eures Gesprächspartners.
Ach Moment. Das gibt es ja schon: telefonieren. Aber verständlich, dass ihr das nicht kennt. Hat sich wohl noch nicht so rumgesprochen, gibt es aber auch erst seit 1861.
Leider will diese faszinierende Technik kaum noch jemand nutzen. Stattdessen erhalte ich Sprachnachrichten. Schon wenn auf meinem Handy das kleine Mikrofon mit dem Play-Button aufblinkt und 3:04 darunter steht, kann ich nicht anders, als mit den Augen zu rollen.
Soll ich mir jetzt ernsthaft drei Minuten etwas anhören, dass ihr mir auch in einer einzigen WhatsApp-Nachricht hättet schreiben können, nur eben ohne Ausschmückungen und Ähmms?

Macht doch gleich eine Bahn-Durchsage.

Wann soll ich mir die Nachrichten überhaupt anhören? Eine Fahrt mit der Straßenbahn lässt sich normalerweise perfekt dazu nutzen, Nachrichten zu verschicken. Leider ist es dort aber oft zu laut, um eure Sprachnachrichten zu verstehen.
Und im Gegensatz zu vielen anderen Menschen habe ich keine Lust, dass alle herumsitzenden und -stehenden Menschen intime Details aus meinem Leben oder dem meiner Freunde erfahren.
Macht doch nächstes Mal einfach gleich eine Bahn-Durchsage, wenn ihr die höchst interessanten Probleme eures Privatlebens unbedingt mit Fremden teilen wollt.

WhatsApp-Sprachnachrichten: Oft fehlt nur noch Popcorn - oder Ohropax

Hey, na wie gehts. Mir geht es gerade nicht so gut, ich habe jetzt schon seit drei Tagen Magen-Darm-Beschwerden und eine beschleunigte Verdauung. Macht echt keinen Spaß, nach jedem Essen aufs Klo zu rennen. Aber hey, wie läufts mit Tom? Ist der Sex besser geworden?"
Ja, so etwas muss man in der Bahn neuerdings mit anhören. Und das Beste ist: Anders als beim Telefonieren hören alle Unbeteiligten nicht nur die eine Seite, sondern gleich beide. Da ihr euch die Antworten eures Gesprächspartners ja bevorzugt in voller Lautstärke anhört.
Oftmals fehlt nur noch eine Packung Popcorn. Oder eben Ohropax, wenn es weniger interessant ist - wie meistens.
"Ach heeeey Süße, wie schön, dass du dich meldest. Ich bin gerade in der Bahn und du? Oh neeein, wie blöd mit deinen Beschwerden. So etwas hatte ich auch mal. Ooooh das ist eine lange Geschichte mit Tom. Das muss ich dir mal in Ruhe erzählen!"
Und du denkst dir: Danke. Gute Idee! In Ruhe erzählen. Sehr gute Idee!

Ich will euer Geschmatze nicht hören.

Aber dann kommt so etwas wie: "Ach weißt du, ich sitze eh gerade in der Bahn und fahre noch zehn Minuten, erzähl also gerne!"
Da hilft nur noch aussteigen.
Selbst wenn ich ganz alleine zuhause bin, habe ich keine Lust, eine Nachricht für euch aufzunehmen. Ich habe sogar schon mal als Ausrede für meine Nicht-Sprachnachrichten behauptet, ich hätte Halsschmerzen.
So weit ist es schon mit mir gekommen. Dabei hatte ich einfach keine Lust, etwas aufzunehmen. Auch nicht nebenbei, das finde ich respektlos.
Wenn ich beim Nachrichten Tippen nebenbei fernsehe und esse, hört das zumindest keiner. Aber wenn ihr bei euren Sprachnachrichten genussvoll schmatzt oder im Hintergrund die Titelmusik von "Game of Thrones" läuft, dann höre ich das. Und ja, irgendwie stört mich das.
Ruft mich doch lieber an, wenn ihr wirklich Zeit habt. Dann freue ich mich.
Aber über eure Sprachnachrichten freue ich mich nicht. Noch weniger übrigens, wenn sie nicht einmal an mich gerichtet sind, aber ich trotzdem alles mit anhören muss.
Nehmt bitte ein bisschen Rücksicht auf eure Mitmenschen. Im Gegensatz zu Facebook oder Instagram kann ich euch nämlich nicht einfach nicht mehr abonnieren, wenn ihr unnötige Informationen mit mir teilt.

Ich bin euch hoffnungslos ausgeliefert - also seid doch bitte einfach mal still.

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"Habt Ihr auch das Verlangen, sobald man einen Hang hinunter schaut,
dort auch hinunter zuspringen? - Ich habe es nicht!" :-D