Eiserne Konsequenz wäre dann doch gar keine Karte gewesen?
Sicherlich richtig. Auch bei McCandless gibt es einige Widersprüche in seiner Person. Das will ich nicht leugnen. Wenn er z.B. davon spricht, ohne zivilisatorische Hilfsmittel zu überleben, aber mit einem relativ modernen Gewehr seine Beute macht oder wenn er von Empathie spricht, sich aber gegenüber seinen Eltern sehr kalt verhält, auch wenn das zumindest teilweise berechtigt sein mag aufgrund der diversen innerfamiliären Vorkommnisse.
Das "eisern" war in dem Zusammenhang überzogen, ich wollte nur verdeutlichen, warum er sich keine aktuelle Karte zulegte.
Warum nicht? Bzw. warum sollte man selbst das nicht für sich beschließen? Hätte es das in der Geschichte nicht gegeben, wären der Gesellschaft fundamentale moralische Errungenschaften verlorengegangen, denkt man z.B. an Martin Luther King.
Sicherlich kann man sich selbst diese Aufgabe geben. Dagegen sage ich auch gar nichts. Finde es sogar gut. Es klang für mich nur so und ich glaube du intendiertest das auch, dass Du die Einstellung von McCandless in dieser Hinsicht verurteilst. Und
das verstehe ich wiederum nicht. Warum etwas verbessern, was man aus Prinzip ablehnt? McCandless wollte die totale Freiheit, keine Zwänge, keine Verpflichtungen. Das bietet eine Gesellschaft einfach nicht, kann sie auch gar nicht, weil sie sich sonst selbst unterminieren würde. Sicherlich ist es eine Flucht. Doch es ist seine individuelle Entscheidung. Ich persönlich respektiere sie nicht nur, sondern schätze sie sehr hoch ein, weil es nur wenige Menschen gibt, die ihre Angst vor einem Verlassen von Altbekanntem und Wohlbewährtem überwinden können. Er hatte eine individualistische Glücksvorstellung. Die Basis dafür ist meinerseits (meine persönliche Meinung, wird kurz politisch), dass jeder Mensch dieselben Chancen haben muss, sich zu verwirklichen. Es muss versucht werden, zufällige und "unrechtmäßige" Ungleichgewichte ( z.B. jmd. der in eine reiche Familie hineingeboren wird) abzubauen. Auf dieser Grundlage soll sich jeder Mensch dann selbst verwirklichen. In dem Punkt verweise ich einfach mal auf meine Signatur, wenns recht ist.
Was war die Konsequenz? Weglaufen. Sich abspalten. Die Folge: Ein früher, unschöner Tod für ihn, ein Nullnutzen für die Gesellschaft. Er handelte selbst egoistisch, indem er diesem Fehler der Menschheit einfach den Rücken zukehrte und sich zurückzog. Würde ihm etwas an anderen liegen, hätte er wohl versucht, etwas am System zu ändern.
Ihm lag etwas an Menschen, jedoch nicht am System. Ich muss der Gesellschaft nicht nutzen. Sie will mich dazu erziehen, aber ob ich das annehme oder nicht, ist meine Entscheidung. McCandless hat sich für die Variante entschieden, die ihm einen einsamen Weg bescheren wird. Wobei er sich nicht einsam fühlte. Und wenn, dann genoss er es, denn die Beziehung zur Natur genügte ihm (er schätzte natürlich auch menschliche Gesellschaft, jedoch nur in Maßen; er wollte sich nicht binden).
Mit dem Tod hat er außerdem kalkuliert. In seinem letzten Brief an den Getreidefarmer, bei dem über über die Sommermonate angestellt war (Name ist mir leider entfallen), schließt er sinngemäß mit den Worten, dass ihn dieses Abenteuer vllt. das Leben kosten wird. Er war darauf vorbereitet. Hat sich bewusst darauf eingelassen. Er war kein Volltrottel, der dachte, er marschiert nach Alaska, überlebt da nen paar Jahrzehnte, um dann "Friede Freude Eierkuchen"-mäßig in die Zivilisation zurückzukehren.
Und mit Sicherheit war sein Handeln egoistisch. Doch er schränkte damit niemanden ein, es war sein persönlicher Wille und sein gutes Recht.
Ich meine klar, theoretisch ist so gut wie alles realisierbar. Aber wenn du so denkst, wirst du deine Träume niemals verwirklichen können, da du Dinge erzwingen willst, die mit bloßem Willen nicht machbar sind.
Sicherlich richtig. Doch selbst wenn die eigenen Träume Utopien sind und man trotzdem an der Verwirklichung festhält, letztlich vllt. sogar scheitert, so hat man auf dem Weg dahin (wie bei McCandless) Dinge erlebt, die anderen verschlossen bleiben. Und schlussendlich kann man behaupten, für seine Träume gekämpft zu haben.
Du scheinst diese Kompromisslosigkeit nicht sonderlich zu schätzen, aber ich bin der Meinung, dass wenn man etwas wirklich will, es auch erreichen kann. Und wenn nicht, dann nicht. Aber man hat es versucht. Wer tiefe, innerliche Wünsche erst mit der realistischen Situation abgleicht und sich arrangiert, der wird vielleicht eher zum Ziel kommen, aber nicht glücklicher sein, da er sich bewusst ist, dass er vielleicht mutwillig etwas verpasst hat.
Eben weil er so unnötig auf der extremen Schiene gefahren ist, das kritisiere ich hier. Nicht den Grundgedanken, sondern das Radikale.
Ich sympathisiere gerade deswegen mit seiner charakterlichen Art. Entweder richtig oder gar nicht. Halbherzigkeit endet vielleicht nicht mit dem Tod, aber auch nicht mit einem dermaßen intensiven Leben, wie es McCandless genießen durfte.