Mahlzeit,
auch, wenn es schon lange her ist, dass der letzte Beitrag geschrieben wurde, möchte ich mich hier im Nachhinein äußern - denn ich finde diese Thematik sehr interessant und kam gedanklich gesehen schon oft in diesen Konflikt.
Ich habe letztes Jahr meinen Zivildienst im Rettungsdienst beendet und mache derzeit eine Ausbildung zum Krankenpfleger. Und schon oft habe ich mich mit der Frage auseinandergesetzt, was dann wäre.
Zuerst möchte ich betonen, dass man im Falle eines Rettungsdiensteinsatzes nicht ins Wasser springt - dies erledigt die Feuerwehr, nicht der Rettungsdienst!
Privat sieht das Ganze natürlich ein bisschen anders aus. Ich bin nicht daran gebunden, danach behandeln zu müssen, wie es im RD der Fall wäre, also könnte ich auch ins Wasser springen. Nun muss man mehrere Aspekte beachten. Ich versuche, auf jeden einzelnen einzugehen.
Zum Einen ist es so, dass ich ein miserabler Schwimmer bin. Als ich mal aus Jux und Dollerei versucht habe, meine Schwester zu ziehen, war das Resultat alles andere als positiv. Ich glaube auch nicht daran, dass ich in der Lage wäre, jemanden rauszuziehen. Dafür schwimme ich nun wirklich zu schlecht.
Angenommen, ich könnte gut schwimmen, so würde ich den Menschen versuchen zu retten. Leider muss ich an der Stelle aber auch dazu sagen, dass dies reiner Egoismus ist. Man kann nicht sehen, ob er runtergestoßen wurde oder ob er selbst gesprungen ist. Wenn jemand auf der Brücke steht, der ihn zwingt zu springen, ich das aber nicht mitbekomme, weiß ich davon nichts. Wenn ich nur deshalb nicht springe und es hinterher einen Zeugen gibt, der beweisen kann, dass ich da war, wird das folgenschwere Konsequenzen für mich haben. Dies endet im schlimmsten Fall mit einer Anklage wegen unterlassener Hilfeleistung mit Todesfolge - im Dienst in Garantenstellung, was die Strafe noch einmal deutlich erhöht.
Wenn ich den Egoismus nun außen vor lasse, muss ich erneut differenzieren. Eine 5m hohe Brücke und eine 50m hohe Brücke sind zwei verschiedene Welten. 50m würde ich nicht springen. Wenn jemand 50m fällt und af dem Wasser aufschlägt, ist die Überlebenschance sehr gering. Auch, wenn ich unten am Ufer stehen würde, würde ich die Person nicht retten. Denn die Wahrscheinlichkeit, dass noch Lebensqualität vorhanden ist, wenn man diese Person aus dem Wasser zieht, ist sehr gering.
Bevor ich zu meiner ersten Reanimation gekommen bin (und das hat gedauert, da ich nur Krankentransporte gefahren bin) habe ich oft mit Kollegen diskutiert, wie sie bei einer anstehenden Reanimation reagieren. Die Einen sagen, dass der Mensch ein Recht auf seinen Tod hat. Die Anderen sagen, es macht keinen Sinn - wenn die Reanimation noch glückt ist mit schwersten Hirnschäden zu rechnen. Die dritte Gruppe reanimiert auf Teufel komm raus, um den Patienten unbedingt wieder zurückzuholen. Schön, wenn die Reanimation vor Ort glückt, aber wenn in den ersten zwei bis drei Minuten niemand reanimiert hat, ist es fast wieder hoffnungslos. Liegt das Ereignis unter 5 Minuten zurück, würde ich es trotzdem versuchen.
Ich möchte hier aber noch einen Sonderfall erläutern, der bisher nicht genannt wurde - dies ist die "Beihilfe zum Selbstmord".
Wenn ich oben auf der Brücke stehe und mich mit dem Springer unterhalte - unmittelbar bevor er springt - und ich weiß, dass er es aus freien Stücken tut, so würde ich ganz sicher nicht nachspringen. Es ist nicht strafbar, dann nicht zu handeln. Jeder muss es selbst wissen!
Ich möchte zu guter Letzt eine Geschichte erzählen, die ein Kollege von mir im Rettungsdienst live erlebt hat:
Ein Mann, der seinem Leben ein Ende setzen wollte, sprang von der Brücke und war nur halb so erfolgreich, wie es eigentlich geplant war. Er kam unten auf, brach sich zig Knochen, starb aber nicht. Der Rettungsdienst versorgte ihn vor Ort und brachte ihn ins Krankenhaus, wo er die kommenden drei Monate versorgt wurde.
Als mein Kollege die Station, auf der er so lange lag, mal besuchte, um einen Patienten abzuholen, wurde er von einer Schwester auf den Springer angesprochen. Als sie ihn nach drei Monaten entlassen hatten, begab er sich sofort wieder zur Brücke. Er war deutlich mobilitätseingeschränkter als vorher, schaffte es aber dennoch, einen zweiten Versuch zu unternehmen, welcher letztendlich auch geglückt ist.
Ich weiß, dass hier nun viele Eventualitäten zu finden sind, aber man muss es von allen Blickpunkten betrachten. Man darf auch nicht vergessen, dass ich an dieser Stelle rettungsdienstgeschädigt bin. Aber wenn ich weiß, dass der Mensch aus freien Stücken gesprungen ist und mich keine Strafe erwartet, wenn ich nicht helfe, lasse ich den Mann springen und sterben. Es ist sein (letzter) Wunsch. Warum soll ich seine Qualen verlängern?