Intri 3
Intri fröstelte und zog den Mantel enger. Eigentlich dürfte sie nicht frieren, so etwas gehörte sich eigentlich nicht für anthropomorphe Personifizierungen. Die Menschheit schrieb das Jahr 1912, und sie stand am Bug eines Schiffes. Wenn sie sich umsah, konnte sie es sogar in Gänze bestaunen: vier gewaltige Schornsteine bliesen dichte Rauchsäulen in den Himmel. Immerhin hatte ihr Satan aufgetragen, das Schiff zu warnen, doch während sie seine Botschaft weiterleitete, kam es ihr so vor, ale wolle sie der Herr der Hölle auf den Arm nehmen: Der Horizont strotzte nur so vor Eisbergen, und der Kapitän hatte volle Kraft vorraus befohlen.
Aber es war nicht ihre Aufgabe, etwaige Gefahren zu bedenken, dafür trugen andere die Sorge. Ihre Aufgabe war es, Nachrichten weiterzuleiten, und das tat sie auch. Sie tat es gewissenhaft und anständig, denn sonst wäre sie wohl seit mindestens drei Jahrtausenden ihres Amtes enthoben worden.
Nachdem dieses frisch verliebte Päärchen endlich die Wärme der Kabinen gesucht hatte, konnte Intri endlich frische Seeluft schnappen. Sie war nicht oft an der frischen Luft gewesen, geschweige denn auf See. Meistens wurde sie ans Bermuda-Dreieck geschickt, wo Schiffe unglücklichweise... verschwanden.
Doch nun war sie an Bord dieses stolzen Schiffes und genoss den Salz in der Luft, der einen deutlichen, angemehmen Kontrast zum Schwefel der Hölle darstellte. Die Sonne hatte sich bereits hinter den Horizont verkrochen, und die Nacht brach sich die Bahn. Sie beschloss, sich im Krähennest, dem Ausguck des Schiffes, zu materialisieren.
Die beiden Matrosen dort schienen der Kälte ebenso anheim gefallen zu sein wie sie, denn sie schienen leicht blau um die Nase zu sein. Dennoch taten sie eifrig ihre Pflicht. Menschen, die nicht augenblicklich an die Intriganz glaubten, konnten sie auch nicht wahrnehmen, und so blieb sie stille Beobachterin.
"Ich glaub ich kann Eisberge riechen" meinte der Erste."
"Riechen. Soso. Wo ist eigentlich das Fernglas?" entgegnete der Zweite.
"Das hab ich das letzte mal in Southampton gesehen. Dumme Sache, hm?"
Der Zweite seufzte. "Du sagst es. Man erfindet sowas eben nicht nur aus Spaß. Aber zum Glück kannst du ja Eisberge riechen."
Sie schwiegen - und fröstelten - eine Weile schweigend. Bis...
"Hey..."
"Riechst du was?"
"Das ist kein Scherz.. Sieh mal da!"
"... Grundgütiger!" Er schlug wie wild auf die Alarmglocke ein. "EISBERG DIREKT VORRAUS! EISBERG DIREKT VORRAUS!"
Intri kauerte auf einem Eisberg, unweit des sinkenden Schiffes. Die Schreie hunderter ertrinkender Sterblicher drangen an ihr Ohr. Und ein Teil von ihr fühlte sich sogar schuldig...
"Tach, ick bin der Kalle." Ein kleiner Eisbär riss sie jäh aus ihren Gedanken. "Eh, wat bistn du für eene? Wie wärs mit uns zwee, hm hm hm?"
"Ich, äh..."
"Äh. Watt? Haste det jesehn oder wat? Alter Verwalter, det warn Schiff Junge Junge. Ich meine ick hab jewunken ne. Weeste, den Schuh zieh ick mir nisch an, ick meine ick winke, aber nisch hier tschüssikowsi, Hollywood wär da lang jewesen, aber weeste, ick meene, als Wasserleiche sieht er ja och nisch verkehrt aus de Leo ick meine..."
"Äh. Entschuldige mich."
Zwischen Zeit und Raum überdachte Intri den Sinn und Zweck ihrer Existenz...