Warum sollte Gott die Nicht-Zerstörung der Zerstörung vorziehen? Das impliziert eine, vermutlich moralische, Wertungsunterscheidung, die einem all-liebenden Wesen in der Tat unmöglich sein müsste; Liebe und Moral sind letztlich unvereinbar, und insofern muss ein Begriff wie Moral tatsächlich "Fremdwort für Gott sein". (Faszinierenderweise fängt das Wort "amoralisch" ja mit AMOR, Liebe, an. ;-) ) Die von dir genannten "moralisch bösen" Effekte in der Welt sind von Gott (definiert als all-liebend) ebenso bejaht und geliebt wie die "moralisch guten", und insofern Teil von Gottes "Plan".

In der Tat ist die Kombination Moral + Allmacht/Allwissenheit + All-Liebe logisch unmöglich, was m.M.n. ein gewaltiger Schwachpunkt des christlichen Gottesbildes ist. Gott, wie ich ihn verstehe, ist allerdings gerade kein moralisches Wesen. (Der richtende Gott der abrahamitischen Religionen ist hingegen kein liebendes.)

Auf Gott beruhende Ethik bedeutet nicht zwangsläufig, dass Gott ethisch-moralische Grundsätze aufgestellt hätte, die zu befolgen befohlen wären. Vielmehr beruht ethisches Verhalten für mich auf dem Bewusstsein, als Geschöpf (bzw., pantheistisch gesehen, als eine unter zahllosen Verkörperungen) Gottes anderen ebensolchen gegenüberzutreten, und mich dementsprechend zu verhalten (die Trias Selbst-, Nächsten- und Gottesliebe verschmilzt insofern in eins, die untrennbare mystische Liebe der Einheit von Allem). Diese Liebe ist dabei keineswegs moralisch geboten - und insofern ist der, der sich ihr entsprechend verhält, nicht "besser" als der, der es nicht tut. (Dementsprechend ist der von dir vermutete Widerspruch in meiner Argumentation gar keiner. Gott befiehlt nichts und will nichts von uns, bzw. wir haben gar nicht die Option, ihm das was er will, nicht zu geben. In den Augen Gottes ist bereits alles in Ordnung. Beim Glauben an einen unzufriedenen - und damit per def. defizitären - Gott würde ich mir auch ziemlich dämlich vorkommen. :-P )


Zu deiner These der Herleitung von Ethik aus Mitgefühl: Um überhaupt so etwas wie Mitgefühl zu haben, muss ein Gegenüber vorhanden sein. Die Existenz eines Gegenübers kann aber nur aus dem Glauben an etwas Größeres hergeleitet werden; ein objektiver Beweis für die Realität Gegenüber ist unmöglich.

Das "Größere", an das nahezu alle nicht-nihilistischen Atheisten, prominenterweise z.B. Richard Dawkins, mit quasi-religiösem Eifer glauben, ist die Existenz eines objektiven Universums, über das mithilfe von Sinneswahrnehmung etwas ausgesagt werden kann; ein Glaube, der mir persönlich völlig unverständlich und nicht nachvollziehbar erscheint, sofern er nicht auf Gott als Axiom zurückgreift. Aber suum cuique, solang diese Leute sich nicht auf die Behauptung versteifen, ihr Weltbild wäre von Glauben frei - denn dann sind sie entweder dumm oder unehrlich; wären sie frei von Glauben, würden sie empirische Naturwissenschaft, in Ermangelung eines erforschbaren Objektes, als pillefitzige Zeitverschwendung betrachten... :-D
Die Existenz Gottes ist dabei weder ein besseres noch ein schlechteres Axiom als irgendein anderes, da der einzige Gradmesser für die "Gültigkeit" eines Axioms dessen intuitive Plausibilität ist. Religion/Theologie und Naturwissenschaft nehmen sich da rein gar nichts; es ist menschlich unmöglich, den objektiven Wahrheitsgehalt von beiden zu bestimmen, beide beruhen auf unbeweisbaren Aussagen, die man halt einfach zu glauben hat, wenn man das Denksystem nutzen will. Eine Wertung nach "besser" oder "schlechter" ist dabei nur individuuell möglich (was nützt mir persönlich mehr, was fühlt sich stimmiger an). "Wahrheit" ist kein zulässiges Kriterium, da wir als Menschen die Wahrheit nicht kennen und nicht kennen können.

Diejenigen (z.B. mich), denen die Axiome eines atheistischen Weltbilds kein glaubwürdiges Größeres anbieten können, werden mit der Abschaffung des Gotteskonzeptes Mitgefühl zugleich ad acta legen und - im Rahmen Nietzsche'scher Übermenschen-Ethik, gänzlich zu Recht - tun was auch immer sie wollen, gleichgültig ob damit ggf. ein anderer zu schaden kommt. Wenn Gott nicht existiert, wiegt Beseitigung irgendeines persönlichen Unbehagens (und sei es nur meiner Langeweile) meines Ichs vernünftigerweise schwerer als die "sogenannten Menschenrechte" von Hunderten, Tausenden, Millionen von Nicht-Ichs. Sofern man allgemeine Menschenrechte also "gut" findet, muss man auch die Existenz des Gotteskonzeptes "gut" finden, und das ungeachtet dessen, ob man das Gotteskonzept nun für seine persönliche Ethik notwendig findet oder nicht. Wer meint, Gott endgültig abschaffen zu können, wird sich wundern wenn hinterher von Demokratie und sozialer Ethik herzlich wenig übrig bleibt. (Ein Satz aus der Kategorie: Was Nietzsche noch wusste, aber "moderne Atheisten" wie Dawkins vergessen zu haben scheinen... ;-) )


Bearbeitet von Mysticus Insanus (01.12.2009, 02:41:16)