Hallo,

ich würde gerne noch einen anderen Aspekt ins Feuer der Diskussion werfen. Da brennt nämlich schon manch anderes vor sich hin, was meiner Ansicht nach das nicht das Interessanteste an der ganzen Frage, ob das Christentum oder eine andere Religion altmodisch ist, ist:

Was nützt denn die Religion?
Ich meine, selbst wenn es sich mit naturwissenschaftlichen Erkenntnissen überhaupt nicht deckt, aber alle Menschen durch eine Religion voll happy werden und einen Sinn im Leben sehen würden oder so (den "richtigen"?), dann wäre das doch eine tolle Religion, die sich lohnen würde. Da fällt mir grad das mit den Mediklorianer ein zwinker. Das hat doch was vom Buddhismus (dass man seine Gefühle im Zaum halten soll, damit man nicht der dunklen Seite der Macht verfällt und so), ist aber rein physikalisch ziemlicher Blödsinn. Wäre es also besser, wenn wir an sowas wie "force" und "midichlorians" glauben würden?
Hmm, ich glaub: vielleicht…(bitte nehmt das Beispiel jetzt nicht zum Anlass dezidiert über den Wert eines Jediismus zu diskutieren, ich kenne mich mit StarWars leider nicht genug aus, um da wirklich bestehen zu können).

Also nochmal explizit: Ich finde, der Wert einer Religion liegt in ihrem Moralsystem und auf diesem Gebiet kann sie von der Naturwissenschaft ja auch gar nicht angefochten werden und könnte dort wunderbar existieren. Da schießt der TE meiner Ansicht nach etwas vorbei, wenn er die These aufstellt, dass das Christentum wegen neusten naturwissenschaftlichen Erkenntnissen nicht mehr zeitgemäß ist. Meine These wäre also:
Wenn das Christentum als Moralsystem den Gegebenkeiten der Zeit nicht mehr gerecht wird, dann ist es nicht mehr aktuell.

Bevor wir zum Wert des Christentums kommen, müssen wir noch abstecken, was Christentum eigentlich ist. Im Wesentlichen wohl wirklich das, was Jesus von Nazareth gepredigt hat und sich sehr vereinfacht auf eine Maximalmoral herunterbrechen lässt, die den Mitmenschen als Mittelpunkt hat. Na ja, eigentlich geht es sogar noch ein bisschen weiter, wenn man sagt, dass man seinen Feind lieben soll, also die Mitmenschen sogar über sich stellen soll. Sowas kennen wir ja zB auch vom marxistischen Denken, dass das Gemeinwohl über das des Einzelnen gestellt werden soll - für eine bessere Zukunft sozusagen. Daran krankte die Diskussion oben meiner Ansicht nach auch etwas. So Sachen wie "Kein Sex vor der Ehe" sind, wenn man wirklich die Quintessenz von Jesse Lehre betrachtet, dann ist das eher eine Randnotiz, weil Jesus wahrscheinlich für den Dekalog war…

Klar, an so ein System muss man sich nicht immer halten (ist ja eh so idealisiert, dass man danach wirklich fast gar nicht perfekt leben kann). Aber mein Moralsystem sagt mir auch, dass ich in der Schule fleißig sein soll und doch bin ich es nicht immer. Trotzdem wird mir wohl jeder beipflichten, dass das ein gutes Moralsystem ist und man sich daran halten sollte.
Aber das finde ich, ist der Knackpunkt an der christlichen Moral: Es ist eine Sklavenmoral. Es sagt nicht: "Hey, wenn da Unrecht geschieht, dann tu was dagegen!", sondern die Essenz seiner Lehre verleitet zum Ertragen von Unrecht. So ist es dann ein leichtes für Leute mit einer Herrenmoral, diese Leute für ihre Zwecke einzuspannen, weil die es ja eh mit sich machen lassen. Das hat die Kirche getan, nicht nur, weil da eben grad böse Menschen am Drücker saßen, sondern weil das ein immanenter Fehler im christlichen Glauben ist! Das äußerte sich damals in dem Glauben, dass man später mal belohnt wird, wenn man diese duldsamen Eigenschaften an den Tag legt, während der Peiniger nach seinem Tod selber gepeinigt wird.
Der Mensch mit einer Sklavenmoral wird beten und quasi darauf hoffen, dass der Zufall ihn in gewissen Situationen begünstigt (worum man halt so bittet beim Beten). Eine Herrenmoral würde verlangen, dass man die Situation mit allen Wahrscheinlichkeiten analysiert und versucht, diese zu seinen Gunsten zu ändern. Eine Herrenmoral gebietet, dass aus sich selbst das beste macht, anstatt sich für andere aufzuopfern, indem man Wange hinhält und nicht aufmuckt. Das Ganze gipfelt gewissermaßen in der Verehrung von Märthyrern - das ist doch jemand, der sich komplett konträr zu dem verhält, was gut für ihn wäre und was im Wesen des Menschen liegt.

Anderes Beispiel: Abtreibung und Verhütung. Okay, die Opposition zur Verhütung kann man Jesus nicht wirklich zuschreiben, das würde in seinem Kontext keinen Sinn machen. Aber gegen Abtreibung wäre er allemal. Betrachtet man eine befruchtete Eizelle in einem gewissen Stadium als Mensch, dann darf der nicht verletzt werden. Wenn ich jetzt sage, dass es Härtefälle gäbe, wo vielleicht für alle beteiligten eine Abtreibung das beste wäre, dann riskiere ich natürlich, dass jemand sich jetzt an dem Punkt aufhängt. Aber es ist so: Zu sagen "Abtreibung unter keinen Umständen" ist moralisch unflexibel. Eine differenzierte Betrachtung ist in der heutigen Zeit aber einfach von Nöten. Die Bibel hingegen hat einen durchweg absoluten Anspruch - da ist kein Platz für Differenzierungen oder Haarspaltereien.

Hmm, was ist mit der Umwelt. Die Kirche legt das ja so aus, dass der Mensch auch die Schöpfung Gottes erhalten soll. Das ist aber zweischneidig. Nach Jesus sollte definitv der Mensch im Mittelpunkt stehen, wenn zwischen philantroper und ökologischer Aktion entschieden werden muss. Eine richtige ökologische Zukunftsethik müssen sich die Vertreter der Christentümer schon ziemlich zusammenbiegen (also vor allem, wenn man als Atheist, dem christlichen Moralsystem folgen wollte - denn was zählt es dann schon, dass man mit Umweltverschmutzung Gottes Schöpfung frevelt - also im Sinne von Sachebeschädigung am Eigentum Gottes).

Zur Entwicklung vielleicht noch einmal: Heutzutage wird in der Arbeitswelt dort draußen verlangt, dass man konfliktfähig ist und dass Projekte erfolgreich fertig gestellt werden. Will man in den meisten Berufen erfolgreich sein, dann muss man schon über ein etwas rauheres Moralsystem verfügen. Natürlich kann man sein Heil auch jenseits von so einem modernen Leben suchen. Aber zeigen psychologische Studien, dass die Leute glücklicher sind, wenn sie erfolgreich im Leben sind. Die Kehrseite ist, dass gerade arme Menschen dann recht religiös sind (das gilt natürlich weder hinreichend noch notwendig, aber wir kennen doch die Gebiete, wo es auf dem Land kärglicher zugeht als in der Stadt und die Menschen dort religiöser sind).
Im Extremfall kann man sich natürlich auch einen glücklichen buddhistischen Mönch vorstellen, der sich denkt, die Erleuchtung erreicht zu haben, weil er sein ganzes Leben lang nur meditiert hat. Aber was hat der dann schon groß im Leben gemacht? Er saß halt rum. Ist da nicht ein Faust viel toller, der immer "stetig strebend sich bemüht" und am Schluss, nachdem er sehr viel erreicht hat (oder es zumindest glaubt) die Erleuchtung findet?
Ich möchte nochmal betonen, wie sehr einen das Christentum dabei hemmen kann. Christ sein, heißt immer ein schlechtes Gewissen zu haben, weil man den Anforderungen einfach nicht gerecht werden kann. Es liegt einfach im menschlichen Naturell auch dem Menschen ein bisschen ein Wolf zu sein. Man sollte das lieber als kreativen Aufwind für die Karriere und alles, was man macht, nehmen, als sich dann zu schämen und versuchen, mit allen maximal gut auszukommen.

Was ich aufweisen wollte, ist also wie folgt: Das Christentum wird den Widrigkeiten der modernen Zeit nicht gerecht und hemmt als Sklavenmoral die Entwicklung des Individuums.

Das ganze lässt sich natürlich in viel mehr Facetten diskutieren, aber ich werd jetzt langsam schreibmüde und freu mich auf Kritik zwinker
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