Es hat sich gestern rumgesprochen, es stand in der Zeitung. Am Sonntag soll es passiert sein.
Klar, einmischen tut man sich bei so was nicht, das weiß ich. Ne Karte käme auch zu heuchlerisch, wenn man bedenkt, wie schlimm wir alle für ihn waren.
Waren wir es? Wir dachten alle es wäre weil Sie ihn jedes Mal so beschuldigte, davonlief, ihn beschuldigte und wieder davonlief. Das dachten wir jedes Mal, wenn wir uns darüber unterhielten. Ja jedes Mal. Und wenn wir uns nicht darüber unterhielten, wenn wir für uns selbst nachdachten, was wir dem alten Herren, jede seiner stunden antaten, dachten wir ‚Selbstschuld.’ Wir dachten ‚Wenn er sich immer über alles aufregt’ oder‚wenn er uns nicht ausreden lässt’ manchmal fielen auch Sätze wie ‚wenn er keine fehler zulässt’.
Doch an manchen tagen, da fragten wir uns, war sie es wirklich ganz allein? Kann man sie etwa allein dafür verantwortlich machen? Raubte sie allein ihm den letzten nerv?
- An solchen tagen dachten wir über vieles nach, warum wir dinge zu anderen sagten, die uns selbst verletzten würden, wir es aber niemals zeigen würden, weil sonst jeder sagt ‚Was hat die jetzt schon wieder?!’. An solchen tagen denken wir, über dinge nach, die uns wenn wir mit freunden unterwegs waren niemals durch den kopf gingen. An solchen tagen, das waren ganz normale tage, morgens beim frühstück oder wenn wir nachhause kommen, aus dem fenster schauen und es regnet, oder während langen, ruhigen Busfahrten, dachten wir über sachen nach die die welt nicht mal ein bisschen bewegten aber doch gingen sie uns durch den kopf, krochen heraus aus den winzigen löchern der mauer unserer Verdrängung die wir Jahrelang aufgebaut hatten. Jahrelang, dieses Jahr war das zehnte.
Für manche das Ende, sie gingen sich sagen lassen was sie zu tun hatten, das heißt sie ließen sich ausbilden oder bauten einfach weiter an dieser mauer.
Jedenfalls, wenn diese Gedanken hervorkommen runzeln wir für ein paar sekunden die stirn und starren konzentriert und mit einem hauch von entsetzen in die Luft, bis uns ein Stärkerer Sinneseindruck wieder befreit von der qual seiner selbstverfremdung ins gesicht zuschauen.

Als wir es hörten sagten wir nichts, ein kleiner säufzer von hier, ein ‚Oh’ von dort. Nun war schluss mit den Entschuldigungen die klangen wie ‚Ich musste mich um meine Tochter kümmern also entschuldigt bitte meine unverbereitetheit’. Er entwarf immer neue Substantive. Oder ‚Meine Mutter musste gestern ins Krankenhaus, also hab ich eure Tests nicht. Ihr kriegt sie am Montag.’- Wir bekamen sie erst donnerstags.
Wir dachten an solchen momenten an denen wir uns kurz besinnten uns kurz die lächerliche frage stellten ‚Wieso war ich nicht einfach ruhig?’.
- Weil keiner ruhig war, niemand war ruhig, außer die, die verstanden. Die Spaßverderber waren ruhig, und du bist kein Spaßverderber.
Diese Stunde waren alle spaßverderber. Nur er nicht. Er kritzelte an der Tafel herum, lächelte dabei, als er das wort ‚wheels’ ein paar mal widerholte. Klar, ein Lastwagen hat schon ein paar ‚wheels’, Inlineskates auch. Er widerholte oft wörter.
Über die zeichnung musste ich schmunzeln, wir anderen auch. Ein Strichmännchen auf Rollerblades, dass sich an einem 2 dimensionalen LKW hängte um schneller zu werden.
„Ich dachte immer, ihr kommt so jeden Tag zur schule, also muss ich euch kein verkehrsunterricht geben?“ er lächelte immer noch. Wir anderen lachten.
Wir lachten nicht wirklich, aber wir lachten.
2 minuten mehr hatten wir dann, wie lieb, meinten wir, und spielten weiter, mit Papierfliegern, in der 10. Klasse.
Wir waren immer noch Kinder, Kinder können grausam sein, heißt es doch immer.
Naja, dass waren wir auch, wobei grausam nicht das richtige wort wäre um unser verhalten zu beschreiben. Wir waren 2008. Das ist besser.





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